Die Einsamkeit eines Menschen wurde selten so berührend erzählt, wie in “Ganz allein”, dem prachtvollen Werk von Christophe Chabouté.

Chabouté nimmt sich unglaublich viel Zeit mit seiner Erzählung. Die ersten Seiten von “Ganz allein” gehören den Möwen, der rauen See und dem Leuchtturm. Bis das erste Wort gesprochen ist, dauert es. In dieser Gegend spricht man nicht viel, es ist die Welt von Fischern. Harte Kerle, die nur etwas sagen, wenn es unbedingt sein muss.

Auch auf dem Leuchtturm ist es ruhig, obwohl er nicht unbewohnt ist. Seit rund 50 Jahren lebt dort ein verunstalteter Mann, er wurde dort geboren und hat die winzige Insel, auf der der Turm errichtet wurde, nie verlassen. Seine Eltern sind längst tot. Kurz bevor der Vater starb, bezahlte er einen der Fischer dafür, jede Woche eine Kiste mit Nahrungsmitteln zur Insel zu bringen.

Doch das Leben im Turm ist einsam. Der einzige Zeitvertreib ist es, in einem alten Lexikon Begriffe zu lesen und sich die Bedeutung der Wörter vorzustellen. Viele Jahre ist das die einzige Abwechslung. Doch eines Tages bekommt der Fischer einen neuen Helfer – und alles wird anders…

Was für ein schönes Buch. Die eigentlich traurige Geschichte wird so leichtfüssig erzählt, dass es eine Freude ist. Mit feinem Strich erhält das Figurenkabinett eine unglaubliche Tiefe. Die Männer sind so hart wie ihre Umwelt, sie haben es nicht anders gelernt. Und doch sind sie sensibel, voller Ehre und Mitgefühl. So ist der alte Fischer stolz darauf, dass er seit vielen Jahren die Essenlieferung auf die Insel bringt – ohne sich jemals bereichert zu haben. Er flucht wie ein Höllenhund – und erschrickt doch fast, als er damit seinen jungen Helfer merklich verletzt.

Auch der Helfer bekommt mit wenigen Worten eine Vergangenheit. Er saß im Knast, mehr muss man nicht wissen. “Du machst gute Arbeit”, sagt der Alte. Das reicht ihm, um auf den Charakter zu schließen. Es ist, als würde man einen Ingmar-Bergman-Film schauen. Unweigerlich schleicht sich eine Gänsehaut ein, Tränen der Rührung huschen aus dem Augenwinkel. Kitschig? Vielleicht. Wunderschön? Auf jeden Fall. “Ganz allein” ist ein herrliches Buch gegen die Einsamkeit.

Ganz allein
von Christophe Chabouté
Carlsen Verlag
29,90 Euro

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